Rufus Zuphall - Weiss der Teufel (1971)




Hier reden wir über Scheiben, die einfach ganz objektiv betrachtet, in jede ernst zu nehmende Sammlung gehören, die jeder kennt oder kennen sollte, die man liebt oder hasst, die polarisieren... Oder anders herum gefragt: Welche Scheiben nimmst du mit auf die einsame Insel ?

Rufus Zuphall - Weiss der Teufel (1971)

Beitragvon wingevil » 24.06.2008, 07:48

Diese Scheibe kam 1971 raus und ich bekam sie auch gleich in die Finger, eine meiner wenigen Hochpreiskäufe damals als armer Azubi.

Ich habe damals etwas gebraucht, um mit der Platte einig zu werden, aber danach war die Liebe zu ihr ebenso intensiv wie niemals nachlassend...auch heute nach fast 40 Jahren höre ich sie noch sehr gerne und nicht selten.

Die Aachener 4-Mann-Formation hatte als zusätzliche Instrument zu g,b,dr die Querflöte im Programm. Und es gibt auch immer wieder Phasen, wo die Band dann doch irgendwie an Jethro Tull erinnert. Allerdings nur phasenweise, denn dazu ist die Musik zu vielfältig. Außer dem typischen Krautrock hört der geneigte Konsument denn auch nicht wenig jazzige Anklänge sowie ab & an leichte Exkursionen in den Süden (Spanien).

Die Querflöte und die Gitarre dominieren denn auch alle Stücke...bis man irgendwann erst mal realisiert wie gut und präzise die bass/drum-Sektion da im Hintergrund werkelt.

Die Scheibe eröffnet mit "Walpurgisnight" ein klassischer Krautrock mit vielen Tempiwechseln, eine schöne Vertonung dessen, was bei den ollen Hexen da so abgeht.

Knight Of 3rd Degree entführt uns nach Spanien mit wilder akustischer Gitarre und sehr gekonnter Percussion, darüber die Querfläte mit der Leitmelodie. Im fast 4minütigen Mittelteil wird das Lied sehr psychedelisch-meditativ mit fast orientalischen Momenten, bevor es mit den restlichen 2 Minuten wieder zum schnellen Anfangmotiv zurückkommt.

Spanferkel holt den Hörer mit hartem schnellen Jazz-/Krautrock wieder aus dieser Traumwelt zurück. Die Band gibt Gas ohne Ende und das tut dem nur 2:25 Min. langem Stück wirklich gut. Gitarre und Querflöte rocken im Duett. Klasse!

Das darauffolgende Stück Freitag war mal meine No. 1 dieser Platte. Es startet wieder jazzigem Krautrock, in welchem die Querflöte ein Thema immer wiederholt und minimal variiert, bis der Track mittels Tempowechsel in einen erbarmungslosen Groove übergeht. Auch hier dominiert zunächst noch die Querflöte, aber eine saustarke Fuzzgitarre arbeitet sich nach vorne und lässt vor knackig rockendem Hintergrund ein wahrlich wildes Solo von der Stange mit furiosem Hall- und Rückkopplungseffekten. Da gilt mein besonderer Dank dem Toningenieur, das ist absolut klasse abgemischt. Lang lässt sich die Querflöte das aber nicht bieten und übernimmt wieder den Solopart, ebenfalls mit schönen Effekten in Szene gesetzt und von dem Flötisten Klaus Gülden durchaus auch mit "Ian-Anderson'schen Ambitionen präsentiert. Mit einm bewusst dissonanten Höhepunkt endet dieser Mitteilteil und die Band kehrt zum Ausgangstheme zurück, mit welchem sie das Stück begann.

Ja und dann kommt der Titeltrack, ein fast 18-minütiges kleines Meisterwerk. Ich habe mittlerweile eine ganz persönliche Interpretation dieses Stücks: für mich bildet das Werk einen ganzen Tag ab.

Das knapp 1,5minütige Intro beginnt krautig im Midtempobereich, quasi der Morgen wie er beginnt, mit Gähnen, Aufstehen, Duschen, Anziehen, Frühstücken. Ein folgendes 2,5minütiges sehr abwechslungsreiches Schlagzeugsolo zeigt uns den Arbeitstag, Anrufe, Telefonate, Termine, Meetings, Verkaufsverhandlungen...alles wirkt gewollt hektisch, fällt aber danach in einen Groove zurück und die Band intoniert eine schöne jazzige Fassung von G. Gershwin's Summertime...wunderbar, um die Zeit nach dem Feierabend einzufangen: hier ein paar Besorgungen machen, da noch etwas bummeln, Freunde treffen, etwas Sport, einen Cappu und einen Campari im Strassencafè geniessen...

Es folgt die große Stunde des Flötisten, der jetzt in einem ausgedehnten Solo "nur Querflöte ohne alles", jedoch mit viel Studioeffekten und wiederum durchmischt mit den Grunz- und Schreigeräuschen in Tull-Manie den Abend zeigt: das Ausgehen, die Clubs und Bars, Abtanzen, laut sein, trinken, Fraune/Männer kennenlernen, anbaggern, lachen...

...gefolgt von einem schnellen Herzschlag-Groove mit Flöte und Gitarre, der langsam immer ruhiger und friedlicher wird und nach dem lauten Abend die traute Zweisamkeit mit dem geliebten Menschen als Vision hochkommen lässt, das Flüstern, Zärtlichkeiten, erst behutsam, dann drängender, die Leidenschaft, der wilde und mitreißende Sex, der gemeinsame Höhepunkt...Flöte und intime Gitarre schaffen eine wunderbare Atmosphäre.

Danach wird es noch ruhiger, ganz feine Melodien fliegen durch Gitarre und Querflöte durch den Raum und symbolisieren das Reden und Tun "danach"...immer friedlicher und schläfriger werden die Melodienfolgen, Orphus' Welt lockt immer stärker...aber die Band beschert und noch ein wunderbares finales Crescendo von 60 Sekunden als Resumee eines schönen erlebnisreichen Tages, dargeboten als eine ganz phantastische Krautrock-Suite.

Es gibt bereits seit langem eine remasterte CD-Ausgabe der LP mit 40 Minuten Bonus-Material. So gerne ich Bonus-Tracks habe, in dieses Gesamtwerk gehören sie nicht hinein.



Die Band ist durch die Bank technisch topfit auf ihren Instrumenten:

Klaus Gülden Flöte, Percussion
Günter Krause Gitarre, Keyboards, Gesang
Helmut Lieblang Bass
Udo Dahmen drums

Der Gesang ist sehr krauttypisch näselig, irgendwie muss das aber so sein.

Eine meiner Inselscheiben.
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Re: Rufus Zuphall - Weiss der Teufel (1971)

Beitragvon thovo56 » 24.06.2008, 11:03

ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie bei mir ins Inselgepäck käme, die Konkurrenz ist verflixt groß. Aber ich stimme voll zu, dass das eine Klasse-Scheibe ist.
Ich habe Ruphus Zufall damals 1970 live gesehen bei diesem legendären und einmaligen Gevelsberger Rockfestival und sie haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Da ich damals noch kein Lehrlingsgehalt bezog, sondern nur Schüler war, konnte ich mir in jenen Jahren die Platte nicht leisten und erst viele Jahre später mal als Angebot irgendwo abgreifen. Ein überzeugendes Album. Leider wurde auf meine CD wieder ssogenanntes "Bonusmaterial" mit drauf gepresst, irgendwas live in Aachen, miese Tonqualität, warum tun die das nur und lassen nicht die Originalalben Originalalben sein ???
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